Dezember: Sumpf-Schwertlilie (Iris pseudacorus)
Zur Zeit der kürzesten Tage hat sich das Leben weitgehend ins schützende Innere der Erde zurückgezogen. Von den im Juni prächtig gelb blühenden Sumpf-Schwertlilien sind nur noch die drei-geteilten Kapselfrüchte übrig. Von dem Pflanzenhormon Abscisinsäure in einen fast todesähnlichen Ruhezustand versetzt, warten sie auf den Frühling. Durch die langandauernde Kälte wird dieses Hormon über den Winter allmählich verbraucht, so dass die Keimung erst im Frühjahr stattfinden kann. So wird verhindert, dass bei einer milden Wetterepisode die Embryonen zur Unzeit zur Keimung verlockt werden. Bevor Abscisinsäure jede Lebenstätigkeit zum Erliegen bringt, werden noch braune Gerbstoffe, sogenannte Tannine gebildet, womit das Gewebe vor Befall durch Pilze und andere Mikroben geschützt wird – eine bei Pflanzen übliche Vorsichtsmaßnahme, die bei dem von Lehmann zum Vergleich herangezogenen Johannisbrot besonders eindrücklich ist.
Lehmann schildert die Kapseln als „braun und krumm“ – dies hat einen biologischen Grund: beim Trocknen springen die Früchte an ihrer Rückennaht auf und biegen sich nach außen, so dass der Winterwind, der an den Fruchtständen zaust und schüttelt, die Samen in der Umgebung verstreut.
Die Kapseln, von Lehmann, botanisch nicht ganz korrekt, als „Schoten“ bezeichnet, sind dreigeteilt, weil die Blüte der Schwertlilie dreizählig ist. Diese artenreiche Gattung besiedelt mit mehr als 200 Arten die gesamte nördliche Hemisphäre und liebt feuchte, oft auch sumpfige Habitate. Die sehr eindrucksvollen Blüten täuschen mehr vor als sie halten: jedes der drei sogenannten Hängeblätter gibt vor, eine ganze, eigene Blume zu sein, obwohl nur ein Staubblatt und ein Ausläufer der Narbe für die Bestäubung zur Verfügung steht. Diese Pracht richtet sich vor allem an Insekten, die eine Schwäche für komplexe Formen und Farben haben – vor allem Hummeln. Iris war die griechische Göttin des Regenbogens.
Der lateinische Name pseudacorus rührt daher, dass die Sumpf-Schwertlilie in der Kräutermedizin als Ersatz der aus Indien stammenden und aromatisch duftenden Kalmuswurzel (manchmal als „Deutscher Ingwer“ bezeichnet) eingesetzt wurde. Dies war nicht unproblematisch; denn die Sumpf-Schwertlilie ist recht giftig. Freilich wurden gerade die getrockneten Fruchtkapseln als Ersatz für Kaffee gebrannt und gemahlen und geschätzt, als durch die Kontinentalblockade während der Napoleonischen Kriege der echte Kaffee nicht zu bekommen war: „In einem Zeitpunkte wie der gegenwärtige, wo man die Cichorienwurzel, die Runkelrübe u.s.w., als Stellvertreter des Kaffee in Gebrauch setzt, muß es interessant seyn, ein bereits vor zwei Jahren in England bekannt gemachte Nachricht von einer wildwachsenden Pflanze kennen zu lernen, deren Samenkörner den Kaffee ersetzen können“ wird 1812 der „Same der gelben Wasser-Schwerdlilie“ im Bulletin des Neuesten und Wissenswürdigsten aus der Naturwissenschaft, so wie den Künsten, Manufakturen, technischen Gewerben, der Landwirthschaft und der bürgerlichen Haushaltung für gebildete Leser und Leserinnen aus allen Ständen von Sigismund Friedrich als „neues Kaffee-Surrogat“ propagiert.
____________________________________________________________________________________
ZUR SAMMLUNG DER BOTANISCHEN TAGEBUCHEINTRÄGE VON WILHELM LEHMANN (pdf)