10.06.2022: Wilde Erdbeeren helfen gegen Klimawandel

Die WEL-Genbank ist mehr als nur eine Sammlung. Sie ist eine genetische Ressource. Dazu wird sie freilich nur, wenn jemand diese Sammlung nutzt. Genau das haben wir getan: Wilderdbeeren aus dem Hochschwarzwald haben sich an späten Frost angepasst. In einer vergleichenden Untersuchung, gemeinsam mit dem Max-Rubner Institut haben wir herausgefunden, wie das funktioniert. Der harte Bursche vom Berg hat eine besonders aktive Version des Genschalters Cold Box Factor 4, der ein Frostschutzprotein namens Xero2 aktiviert. Hingegen werden beide Gene bei "Warmduschern", die bei Frost gleich einknicken, nur wenig aktiviert. Wenn wir beide Gene in Tabakzellen einbringen, werden diese Zellen auch frosthart. Man könnte nun diese beiden Gene durch natürliche Kreuzung in Kulturerdbeeren einbringen und so die Erdbeeren gegen Spätfröste wappnen.

Genbank Südwest für Wildpflanzen mit Nutzungspotential (WEL)

Frühlings-Adonisröschen - Adonis vernalis (Bild: M. Sommerfeld)
Sandthymian - Thymus serpyllum (Bild: M. Sommerfeld)
Wiesensalbei - Salvia pratensis (Bild: M. Sommerfeld)
Zaunwicke - Vicia sepium (Bild: M. Sommerfeld)

Die seit vielen Jahrzehnten deutlich spürbaren Veränderungen der Biosphäre sind mit stetig wachsenden Aussterberaten von Tier- und Pflanzenarten sowie der Zerstörung kompletter Ökosysteme verbunden. Habitatveränderungen durch weiteres Anwachsen von Siedlungs-, Industrie- und Verkehrsflächen, Eutrophierung der Böden und Gewässer, Schadstoffeinträge oder der Klimawandel sind nur einige der vielfältigen Probleme, die zu einer wachsenden Verarmung der Flora und Fauna führen.

Von diesem dramatischen Rückgang der Artenzahlen ist in erster Linie die Biodiversität der Agrarökosysteme betroffen. Ein 1996 veröffentlichter Bericht der Food and Agriculture Organization besagt, dass im Lauf des letzten Jahrhunderts schätzungsweise 75 % der genetischen Vielfalt der Nutzpflanzen verloren gegangen ist. Auch der Verlust von wildwachsenden Arten nimmt erschreckend hohe Ausmaße an.

 

Crop Wild Relatives - Wildpflanzen mit Nutzungspotential

Doch gerade Wildpflanzen verfügen über ein umfangreiches Reservoir an Eigenschaften, die Kulturpflanzen durch die züchterische Veränderung verloren gegangen sind. Ein Beispiel sind Resistenzen gegenüber Krankheitserregern, die gegen Pflanzenschutzmittel immun geworden sind. Auch sind die heutigen Kulturpflanzen für neue oder optimierte Inhaltsstoffe meist nicht mehr geeignet: Das genetische Material der Kulturpflanzen kann durch Kreuzungen und Selektionen zwar neu kombiniert werden, aber dadurch wird die Gesamtheit des in einer Art vorhandenen Erbguts nicht erweitert.

Die Wildpflanzen, von denen die gezüchteten Kulturpflanzen abstammen, besitzen daher einen außerordentlich hohen ökonomischen Wert, der aus dem möglichen Beitrag für die zukünftige Anpassung der Produktion von Nahrungs- und Arzneipflanzen an veränderte Umwelt-, Produktions- und Marktbedingungen resultiert.

Zur künftigen Sicherstellung einer produktiven und nachhaltigen Agrarwirtschaft ist es dringend notwendig, Maßnahmen zum Schutz pflanzengenetischer Ressourcen zu ergreifen sowie die bestehenden auszuweiten. Hierfür existieren zwei unterschiedliche Möglichkeiten: die in-situ- und die ex-situ-Erhaltung. Beim in-situ-Schutz werden die Lebensgemeinschaften innerhalb ihres natürlichen Lebensraumes durch Natur- und Landschaftschutzgebiete, Nationalparks oder geschützte Biotope erhalten. Diese Maßnahmen schließen allerdings nicht alle gefährdeten oder vom Aussterben bedrohten Arten ein und sind auch nicht immer problemlos durchführbar. Daher muss oft zusätzlich die Möglichkeit der Erhaltung von Arten außerhalb ihres natürlichen Lebensraumes, die ex-situ-Erhaltung, angewandt werden.

 

Das CWR-Projekt

Bisher existieren in Deutschland verschiedene Forst- und Obst-Genbanken sowie die "Genbank für landwirtschaftliche und gärtnerische Kulturpflanzen". Die mit unseren Kulturpflanzen verwandten Wildpflanzen, die so genannten Crop Wild Relatives, werden in diesen Datenbanken allerdings kaum berücksichtigt. Rund 2.800 der insgesamt etwa 3.600 in Deutschland wild wachenden Pflanzenarten werden als aktuell oder potentiell nutzbar angesehen, das sind fast 80%.

Aus diesem Grund wurde 2008 das Crop Wild Relatives-Projekt ins Leben gerufen. Ziel dieses Modell- und Demonstrations-Vorhabens ist es, erstmalig eine Deutsche Genbank für Wildpflanzen mit Nutzungspotential zu gründen und gleichzeitig ein gesamtdeutsches dezentrales Netzwerk für genetische Ressourcen der bedeutendsten wild vorkommenden Verwandten von Nutzpflanzen aufzubauen. Die Botanischen Gärten Berlin, Karlsruhe, Osnabrück und Regensburg sowie die Pädagogische Hochschule Karlsruhe beproben als Sammlungspartner schützenswerte Crop Wild Relatives und bewahren speziell aufbereitetes Saatgut unter kontrollierten Tiefkühlbedingungen, also ex-situ, auf.

Ein derartiges Netzwerk stellt eine effiziente und bisher nie dagewesene Erforschung und Beprobung verschiedenster Lebensräume der wichtigsten kulturverwandten Wildpflanzen in Deutschland sicher. Zudem wird mit den gewonnenen genetisch mannigfaltigen Pflanzenressourcen eine nachhaltige Struktur geschaffen, die unentbehrlich für die zukünftigen Anforderungen an Landwirtschaft, Ernährung und Ökologie ist. Defizite und Probleme bezüglich der Erhaltung und nachhaltigen Nutzung genetischer Ressourcen von Crop Wild Relatives in Deutschland sollen somit abgebaut werden.