Kommunizieren statt vergiften
Leben basiert auf Signalen. Ein jegliches Moleküle und ein jeglicher Prozess kann ein Signal sein, wenn nämlich Information übertragen wird. Wie von Karl Bühler in seiner Organontheorie (1934) dargelegt, hängt Information vor allem vom Kontext zwischen Sender und Empfänger ab. Dies schafft Spezifität. Ein und dasselbe Molekül oder Ereignis kann unterschiedliche "Bedeutungen" übertragen, wenn der Kontext ein anderer ist. Evolution wurde dadurch geformt, dass die Kommunikation zwischen Zellen und Organismen hergestellt, verbessert, manchmal auch unterlaufen wurde. Währned unser konventionelles Verständnis von Kommunikation durch Signale dominiert wird, die über Bewegung entstehen (sogenanntes Verhalten), ist der Großteil von Signalen chemischer Natur (selbst bei den Tieren, Homo sapiens eingeschlossen). Wenn es uns gelingt, diese Signale zu identifizieren und zu manipulieren, gewinnen wir Kontrolle über andere Organismen und zwar auf eine Weiste, die spezifisch ist und ungewollte Nebenwirkungen vermeiden kann. Anders gesagt: Wenn wir diese Signale verstehen, können wir Strategien finden, um in Harmonie mit der Evolution unsere landwirtschaftlichen Ökosysteme zu steuern. Vielleicht erhalten wir auf diesem Weg nicht zu 100% Kontrolle über das System, sondern nur zu 90%. Freilich, dieser 90%-Kompromiss ist vermutlich dauerhafter als der bislang verfolgte technische Ansatz, bei dem wir im Grund unsere Ökosysteme differentiell vergiften. |
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Ohne Pflanzenschutz geht es nicht - aber unsere bisherigen Herbizide belasten die Umwelt, vergiften das Grundwasser und richten allerlei Kollateralschäden an harmlosen oder gar nützlichen Lebewesen an. Wir brauchen mehr Spezifität. Die gibt es - alle Lebewesen nutzen vielfältige Signale, um andere in ihrem Sinne zu beeinflussen. Könnten wir uns das zunutze machen? Genau das haben wir hier getan: Minzen sind sehr durchsetzungsstark und duften je nach Art sehr unterschiedlich. Wir haben herausgefunden, dass diese Düfte Signale sind, mit denen sie andere Pflanzen zum Selbstmord überreden. Für die Pferdeminze haben wir das genauer untersucht und daraus eine Anwendung entwickelt, mit dem wir die Ackerwinde im Ökogetreideanbau unterdrücken können. Veröffentlichungen 195. Sarheed M, Schärer HJ, Wang-Müller QY, Flury P, Maes C, Genva M, Fauconnier ML, Nick P (2023) Signal, not poison – Horsemint essential oil for weed control. Agriculture 13, 712 - pdf |
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"Unkräuter" sind häufig nahe verwandte unserer Kulturpflanzen, die sich in der von Menschen geschaffenen, künstlichen Umwelt wohlfühlen, aber nichts "zurückzahlen" (sogenannter Kulturparasitismus). Sie nutzen zwei Tricks: "Unkräuter" werfen ihre Samen oder Früchte ab, bevor sie vom Menschen geerntet werden können und sie keimen zu individuell verschiedenen Zeiten (sogenannte Dormanz), so dass sie für eine standardisierte Landwirtschaft nicht zu gebrauchen sind. Freilich waren unsere Kulturpflanzen auch alle einmal "Unkräuter", etwa Hafer, Roggen oder Gerste. Durch Züchtung hat der Mensch ihnen das Abwerfen der Samen und die ungleichmäßige Keimung "ausgetrieben". Es sind sehr wenige genetische Unterschied, die "Unkraut" und "Kulturpflanze" voneinander trennen. Bevor wir nun versuchen, "Unkräuter" vollkommen auszumerzen, sollten wir noch einmal die Schulbank der Evolution drücken und uns anschauen, ob sich hier nicht nachhaltigere Kompromiss-Lösungen ergeben. Der Rote Reis ist ein solcher Kulturparasit, der inzwischen weltweit etwa 30% der Reisernte aufzehrt. Trotz seiner Bedeutung ist er nach wie vor rätselhaft. Mithilfe unserer Sammlung von Rotem Scheinreis aus aller Welt, vor allem aus Norditalien, wo die Gruppe von Aldo Ferrero systematisch gesammelt hat. Mithilfe von genetischen Markern konnten wir zeigen, dass der Rote Scheinreis aus dem Kulturreis entstanden ist. Dabei wurden die bei der Domestizierung inaktivierten Gene für Samenabwurf und Dormanz wieder durch einige wenige Mutationen wieder in Gang gesetzt. Da man Reis inzwischen nicht mehr aufwendig umpflanzt, sondern maschinell direkt aussät, gibt es auch keine Möglichkeit mehr, den Roten Scheinreis in einem frühen Stadium zu erkennen und auszusondern. Durch unsere technisierte Landwirtschaft haben wir Menschen uns also unser eigenes "Unkraut" geschaffen. Veröffentlichungen 156. Grimm A, Sahi VP, Amann M, Vidotto F, Fogliatto S, Devos KM, Ferrero A, Nick P (2020) Italian Weedy Rice – A Case of De-Domestication? Ecology and Evolution 10, 8449-8464 - pdf 100. Grimm A, Fogliatto S, Nick P, Ferrero A, Vidotto F (2013) Microsatellite markers reveal multiple origins for Italian Weedy Rice. Ecol Evolution 3, 4786-4798 - pdf |