Altchinesischer Zitronenduft gegen Krebs?
Worum geht es?
Mikrotubuli sind ein zentraler Baustein des Cytoskeletts. Neben ihrer allgemein bekannten Bedeutung für die Teilungsspindel üben sie, vor allem in Pflanzenzellen, eine Vielzahl weiterer Funktionen aus: Sie steuern die Achse des Zellwachstums, sie bestimmen die Orientierung der Zellwand und sie wirken bei der Verarbeitung von Reizen mit (beispielsweise sind sie eine Art Thermometer, mit dem die Pflanze Kälte wahrnehmen kann). Wegen dieser Bedeutung bilden die Mikrotubuli natürlich einen wichtigen Ansatzpunkt, an dem Zellen manipuliert werden können. Beispielsweise greifen die meisten Wirkstoffe, die für die Chemotherapie von Krebs eingesetzt werden, an den Mikrotubuli an. Die schnell proliferierenden Krebszellen werden dadurch stärker geschädigt als die langsam wachsenden Körperzellen des Patienten.
Wo stehen wir?
Glücklicherweise hat die Natur hier schon vorgearbeitet. Von den geschätzten etwa 1 Million Sekundärstoffen, die man im Pflanzenreich findet, gibt es einige, die auf Mikrotubuli wirken. Man kann sich natürlich fragen, wozu Pflanzen solche Stoffe bilden - sicherlich nicht, weil sie uns etwas Gutes tun wollen. Pflanzen müssen sich jedoch gegen zahlreiche Konkurrenten oder auch gegen parasitierende Mikroorganismen zur Wehr setzen und Wirkstoffe gegen Mikrotubuli sind hier natürlich ein wirksames Mittel. Unabhängig vom (im Detail oft nicht verstandenen) evolutionären Hintergrund sind solche Wirkstoffe medizinisch interessant und weltweit gibt es ein wachsendes Interesse an Naturstoffen pflanzlichen Ursprungs, die auf Mikrotubuli wirken. Mithilfe von Biotests und in-vitro Studien kann man nach solchen Substanzen suchen und dann ihren Wirkmechanismus aufklären. Neben schon lange bekannten Wirkstoffen, wie dem berühmten Alkaloid Taxol (Paclitaxel) aus der Pazifischen Eibe (Weltmarkt etwa 1 Mrd. €) sind hier auch neue Wirkstoffe interessant. Viele Sekundärstoffe haben die biologische Funktion, die Keimung von Konkurrenten zu unterdrücken (Allelopathie). Wildformen der aus China stammenden Citrusfrüchte werden traditionell zur Behandlung von Geschwülsten eingesetzt und einer kooperierenden Gruppe aus Chongqing gelang es, aus Citrusextrakten Sekundärstoffe zu extrahieren.
Im Brennpunkt derzeit
Für einen dieser Wirkstoffe, Gallussäure, konnten wir in Kooperation mit der Gruppe von Ute Schepers am ITG zeigen, dass er gegen Krebszellen (HeLa-Modell) sehr wirksam ist. Eine nähere Untersuchung brachte zutage, dass Gallussäure die Häufigkeit von multipolaren Spindeln erhöht, so dass die Zellen dann Apoptose aktivieren. Krebszellen haben ohnehin Probleme bei der Ausbildung einer normalen Spindel, weil sie überzählige Centriolen besitzen. Diese werden aber so miteinander verklebt, dass die Teilung dennoch funktioniert. Dieser Klebemechanismus wird durch Gallussäure geblockt. Da gesunde Zellen nur zwei Centriolen haben, sind sie nicht betroffen. Man hat also einen Wirkstoff, der spezifisch Krebszellen tötet. Neben Gallussäure haben wir in einer Voruntersuchung noch weitere Inhaltsstoffe mit antimikrotubulärer Wirkung identifizieren können.
Konkrete Fragestellung
Es werden derzeit mehrere Kandidaten untersucht. Konkret geht es darum, eine mögliche Wirkung auf Mikrotubuli in vivo (in Zellen) zu prüfen. Eine solche Wirkung könnte durch eine direkte Bindung an Mikrotubuli entstehen (wie bei Colchicin), sie könnte aber auch indirekt sein, wenn etwa ein Protein, das an Mikrotubuli bindet und deren Stabilität ändert, durch den Wirkstoff manipuliert wird. In diesem Falle sollte die Wirkung in vitro (außerhalb der Zelle, nur in Gegenwart des Tubulins) nicht zu beobachten sein.
Methoden und Werkzeuge
- transgene fluoreszente Zellkulturen der Tabaklinie BY-2, bei denen man das Verhalten der Mikrotubuli verfolgen kann
- Fluoreszenzmikroskope (Apotom, spinning disc, Weitfeld-Fluoreszenzmikroskope) mit digitaler Bildaufnahme
- Hemmstoffe, mit denen man Mikrotubuli auflösen oder stabilisieren kann
- Wirkstoffe, die aus altchinesischen Citrusarten isoliert wurden.
- Ein Verfahren, womit man fluoreszierende Mikrotubuli in vitro erzeugen und mikroskopisch beobachten kann.
Plätze
- 2 Studierende
- Betreuung Dr. Jan Maisch
Publikationen
[33] Nick P (2014) Why to spent tax money on plant microtubules? Plant Cell Monogr 22, 39-67 - pdf