2015-11 Neuer Immunitätsschalter in Wildreben entdeckt
Worum geht es?
Im Botanischen Garten des KIT wird eine in ganz Europa einmalige genetische Kostbarkeit bewahrt: eine vollständige Sammlung aller in Deutschland noch lebenden Genotypen der Europäischen Wildrebe (Vitis sylvestris). Diese Stamm-Mutter unserer Kulturrebe ist fast ausgestorben - die letzten lebensfähige Population findet sich auf der Rhein-Halbinsel Ketsch zwischen Karlsruhe und Mannheim und wurde von uns im Rahmen eines Artenschutzprojekts gesammelt, genetisch untersucht, vermehrt und an geeigneten Stellen im Auwald wieder ausgewildert (mehr dazu...).
Eine Untersuchung dieser Sammlung zeigte, dass die Wildreben gegen eine Vielzahl von Krankheiten immun sind. Dies lässt sich dafür nützen, neue Reben zu züchten, die aufgrund ihrer besseren Immunität weniger oft gespritzt werden müssen. In einem mehrjährigen Projekt im Rahmen des transnationalen Forschungsnetzwerks BACCHUS - Forschung für Nachhaltigen Weinbau war es uns gelungen, gemeinsam mit Kollegen vom INRA Colmar und dem DLR Neustadt, eine der Ursachen für diese bessere Immunität aufzuklären (). Wir konnten zeigen, dass diese Wildreben generell besonders schnell und stark Resveratrol und Viniferin bilden können. Das sind Abwehrstoffe, die das Wachstum von Mikroorganismen wirksam unterdrücken, für den Menschen aber unschädlich sind - im Gegenteil, sie können Gefäßerkrankungen verhindern.
Was haben wir neu entdeckt?
Nun sind wir einen Schritt weitergekommen: in Zusammenarbeit mit der Universität Mainz wurde das Genom einer unserer immunen Wildreben durchsequenziert. Dabei entdeckten wir ein neues DNS-Stück, das in kultivierten Reben fehlt. Dieses Stück sitzt in einer Steuersequenz eines Genschalters namens MYB14. Was wird durch diesen Schalter angeschaltet? Das Gen für Stilbensynthase, das Schlüsselenzym für die Bildung der Abwehrstoffe. Um zu prüfen, ob diese Veränderung in MYB14 wirklich für die schnellere und stärkere Immunreaktion der Wildrebe verantwortlich ist, wurden die Steuersequenzen von Wildrebe und Kulturrebe jeweils for das Gen Luciferase gesetzt und dies in Zellen der Weinrebe eingesetzt. Luciferase ist das Enzym, was das Leuchten der Glühwürmchen hervorruft. Immer dann, wenn die Steuersequenz aktiv ist, fangen diese Zellen an zu leuchten und die Stärke dieses Leuchtens können wir mithilfe eines Luminometers messen. Mit diesem System konnten wir nun untersuchen, wie die Immunreaktion gesteuert wird: das bei unserer Wildrebe noch vorhandene Genstück kann die Immunreaktion um das Vierfache verstärken. Ausserdem konnten wir aufdröseln, durch welche frühen Signale Immunität angeschaltet wird. Wir fanden heraus, dass
- zuerst Calciumkanäle in der Membran aufgehen.
- Calcium strömt in die Zelle und aktiviert eine MAP-Kinase Kaskade (phosphatübertragenden Enzymen)
- parallel dazu wird das Enzym NADPH-Oxidase in der Membran angeworfen
- Dadurch wird Superoxid, ein Vertreter der reaktiven Sauerstoffspecies gebildet
- Calcium und Superoxid aktivieren die Bildung von Jasmonat (dem "Adrenalin der Pflanze")
- Jasmonat und die MAP-Kinasen aktivieren dann das MYB14 Gen
- Das MYB14 Gen bildet aktives MYB14 Protein
- Das MYB14 Protein bindet an die Steuersequenz des Gens für Stilbensynthase
- Das Enzym Stilbensynthase bildet Stilbene, die den Eindringling vergiften.
Was kann man mit diesem Wissen anfangen?
Als der Mensch vor etwa 8000 Jahren in Georgien die Wildrebe in Kultur nahm, begann ein langer Weg zunächst unbewußter, später aber zunehmend gezielter, Veränderung: Die Beeren wurden immer größer und süßer, das Wachstum der Rebe wurde immer schneller. Aber alles hat seinen Preis: dieser Preis war ein weitgehender Verlust der natürlichen Abwehrkräfte in unserer Kulturrebe. Dieser Verlust ist teuer: mit über 10 Spritzungen pro Saison ist der chemische Pflanzenschutz im Weinbau nicht nur teuer, sondern belastet auch die Umwelt. Gelingt es uns, unserer Kulturrebe ihre verlorengegangenen Abwehrkräfte wieder zurückzugeben? Dazu könnte man Kulturreben und Wildreben miteinander kreuzen. Aber dann würden natürlich viele andere, vom Menschen nicht gewünschte, Eigenschaften zurückkehren - kleine und saure Beeren, geringeres Wachstum, die Aufspaltung in zwei Geschlechter (die Wildreben sind zweihäusig, es gibt männliche und weibliche Pflanzen). Wenn wir aus der Nachkommenschaft einer solchen Kreuzung die Pflanze heraussuchen könnten, die nur die Immunität von der Wildrebe geerbt hätte, die anderen Eigenschaften aber von der Kulturrebe, wären wir weiter. Dies gelingt natürlich nicht in einem Schritt, aber in mehreren Kreuzungsrunden sollte eine solche Pflanze auftreten. Allein: wie finden wir diese Pflanze aus der Vielzahl von Nachkommen heraus. Nun: wir kennen ja nun die molekulare Natur des Immunitätsschalters. Damit lassen sich molekulare Sonden basteln, so dass man dann mithilfe einer sogenannten Polymerase-Kettenreaktion (PCR) die Nadel im Heuhaufen finden kann. Dieses Verfahren nennt man molekulare Züchtung und mit unserer Entdeckung sind wir nun erstmals in der Lage, diesen Weg zu beschreiten.
Veröffentlichung
120. Duan D, Fischer S, Merz PR, Bogs J, Riemann M, Nick P (2016) An ancestral allele of grapevine transcription factor MYB14 promotes plant defence. J Exp Bot, 10.1093/jxb/erv569 - pdf