Immunsystem der Weinrebe
Worum geht es?
Die Weinrebe zählt zu den Nutzpflanzen mit dem höchsten Geldertrag pro Fläche. Sie zählt aber auch zu den Nutzpflanzen, die den höchsten Aufwand für chemischen Pflanzenschutz erfordern. Beispielsweise gehen etwa 70 % der Fungizidproduktion auf das Konto des Weinbaus. Die meisten dieser Erreger, wie etwa der Falsche Mehltau der Weinrebe (Plasmopara viticola) haben sich gemeinsam mit wilden Weinarten in Nordamerika entwickelt, und kommen offenbar gut mit diesem Erreger zurecht. Die Evolution hat dieses Problem also schon gelöst. In der Tat hat man durch ein Jahrhundert mühsamer Kreuzungsarbeit geschafft, diese Resistenzfaktoren in Kulturreben einzukreuzen und gleichzeitig den von vielen als unangenehm empfundenen Geschmack dieser "Amerikanerreben", den sogenannten "Fuchston" loszuwerden. Diese sogenannten PiWi-Reben (für Pilz-Widerstandsfähig) sind zu einer zentralen Säule des ökologischen Weinbaus geworden und zunehmend auch ökonomisch erfolgreich. Die Natur steht freilich nicht still: seit etwas mehr als zehn Jahren beobachtet man neue Pathogenstämme, die auch in der Lage sind, auf PiWi-Reben zu wachsen oder diese gar bevorzugen. Gleichzeitig breiten sich im Gefolge des Klimawandels neue Krankheiten aus - etwa das heimtückische Esca-Syndrom, das viele Jahre nach Erstinfektion plötzlich zuschlägt und einen Weinstock binnen weniger Tage zum Absterben bringt. Wir brauchen also neue Strategien und zwar deutlich schneller als in weiteren 100 Jahren. Um solche neuen Ansätze entwickeln zu können, müssen wir aber erst einmal das Immunsystem der Weinrebe besser verstehen. Mithilfe molekular- und zellbiologischer Methoden sind wir zu der Auffassung gelangt, dass den chemischen Signale, die zwischen Wirt und Erreger ausgetauscht werden, eine Schlüsselrolle zukommt.
Neue Quellen der pflanzlichen Abwehr nutzen
Die pflanzliche Immunität hat zwei Ebenen - eine evolutionär alte Grundimmunität und eine spezialisierte Immunität. Die spezialisierte Immunität ist wirksamer und hat sich aus einem langen evolutionären Wettrüsten zwischen Krankheitserreger und Wirtspflanze entwickelt. Die heute relevanten Krankheiten unserer in Europa entstandenen Kulturrebe wurden sämtlich Mitte des 19. Jahrhunderts nach Europa eingeschleppt. 150 Jahre sind für die Evolution eine kurze Zeit, zu kurz, um eine spezialisierte Immunität entwickeln zu können. Die heutigen PiWi Reben beruhen letztlich auf einzelnen genetischen Faktoren, die es erlauben, die spezialisierte Immunität zu aktivieren. Offenbar haben manche Pathogene inzwischen Wege entwickelt, um diese spezialisierte Immunität mithilfe chemischer Signale (sogenannten Effektoren) auszuschalten. Wir denken, dass der Mensch diese Form des chemischen Wettrüstens nur verlieren kann. Wir gehen daher einen anderen Weg: als die Weinrebe vor etwa 8000 Jahren in Georgien domestiziert wurde und von dort ihren Siegeszug über den ganzen Mittelmeerraum antrat ging bei der einseitigen Selektion auf große und süße Beeren die Grundimmunität zwar nicht ganz verloren, wurde aber doch deutlich geschwächt. Zentrales Element dieser Grundimmunität ist die Bildung von (auch medizinisch wertvollen) Abwehrstoffen, sogenannten Stilbenen. Bei den wilden Vorfahren unserer Kulturrebe (Vitis vinifera), der fast ausgestorbenen Europäischen Wildrebe (Vitis sylvestris) werden die Stilbene deutlich schneller und stärker gebildet. Dies haben wir mithilfe der im Botanischen Garten des KIT aufgebauten Wildrebensammlung entdeckt. Bei einem unserer Champions, einer Wildrebe mit der Bezeichnung Hö29, konnten wir eine molekulare Ursache für die bessere Grundimmunität identifizieren: hier ist bei der Wildrebe ein Stück in einer Steuersequenz eines Genschalters (MYB14) vorhanden, das offenbar bei der Domestizierung vor einigen tausend Jahren verlorenging. Wir konnten inzwischen nachweisen, dass dieses Stück in der Tat die Aktivierung dieses Schalters stark verbessert. Dieser Schalter aktiviert wiederum die Stilbensynthase, das Schlüsselenzym für die Bildung der Abwehrstoffe.