Günter Theißen: Key innovations in the evolution of flower development
L'Evolution c'est bricolage - Evolution ist Gebastel - mit diesem berühmten Satz betonte der französische Nobelpreisträger Jacob, dass in der Biologie häufig Dinge, die es schon gibt, in einem neuen Bezug kombiniert werden. Dies führt zu der Frage, wie man "neu" in der Biologie überhaupt definieren kann. Vor allem dann, wenn man auf die genetische Ebene geht. Fallen neue Gene quasi vom Himmel? Ob etwas "neu" ist, wird in der Biologie mit einer wichtigen biologischen Technik, dem Vergleich untersucht, der sogenannten Homologisierung. In der Biologie spielen Homologien eine wichtige Rolle, sowohl morphologisch (die Flügel der Vögel sind den Armen der Menschen homolog) bis hin auf die molekulare Ebene (zwei Gene sind homolog, wenn man sie nebeneinander legen, "alinieren" kann, so dass man dann sieht, an welchen Stellen, etwas geändert wurde). Da viele Baupläne im Grunde aus rhythmisch wiederholten Bausteinen bestehen (man denke an die Segmente der Gliedertiere oder die Sprossabschnitte der Landpflanzen), die dann abgewandelt werden, kann man die Frage der Makroevolution neu stellen - die räumliche (oder zeitliche) Verschiebung einer solchen Wiederholung sollte zu Ergebnissen führen, die man nicht mehr ohne Weiteres homologisieren kann. Im einfachsten Falle ändert sich nur die Zahl (Spinnen haben eben acht, Insekten nur sechs Beine, die Homologie ist aber noch gut zu erkennen) von Organen, bisweilen aber entsteht auch etwas qualitativ Neues, vor allem, wenn Bildeprozesse ihre zeitliche Ordnung verändern. Auf molekularer Ebene geht es darum, wann und wie stark genetische Schalter, sogenannte Transkriptionsfaktoren, aktiviert werden. Wenn wir "Form" erkennen wollen, müssen wir verstehen, durch welche Prozesse sie entsteht und wie diese Prozesse zeitlich und räumlich geordnet sind. Das Werden ist also genauso wichtig wie das Sein. Die Blütenbildung ist nicht nur ein Vorgang, der entwicklungsgenetisch intensiv untersucht wurde, sondern auch ein Prozess, an dem die Evolution in kurzer Zeit unglaubliche Vielfalt erzeugt hat - schon Darwin sprach angesichts der stürmischen Entstehung von Blütenpflanzen binnen ganz kurzer Zeit von einem "abominable mystery".
Sprecher: Günter Theißen studierte und promovierte in Düsseldorf und war dann Arbeitsgruppenleiter am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln, einem der Orte, wo das "EvoDevo der Blütenbildung" aufgeklärt wurde. Nach einem kurzen Intermezzo in Münster wechselte er 2002 nach Jena, wo er seitdem arbeitet. Er hat nicht nur wichtige Beiträge zur Genetik der Blütenbildung geleistet, in dem er das klassische ABC-Modell zu einem inzwischen weithin akzeptierten floral quartet Modell erweiterte, sondern auch an ursprünglichen Nacktsamern untersucht, wie die Blüte eigentlich entstanden ist (übrigens auch mit Proben, die er am Botanischen Garten des KIT entnommen hatte). Er gilt als dezidierter Gegner der aus den USA immer stärker nach Europa drängenden Kreationismus-Bewegung und versucht statt dessen, Makroevolution mit wissenschaftlich belegten und belegbaren Modellen zu erklären.