2018_02 Geisterfahrer-Motor als Thermometer
Warum arbeiten wir über Geisterfahrerkinesine
Kinesine sind sogenannte molekulare Motoren, die sich entlang der Mikrotubuli bewegen und Frachten transportieren können. Ähnlich wie bei einer Einbahnstraße weisen Mikrotubuli eine Richtung auf, wobei ein Ende wächst und das andere eher schrumpft. Kinesinmotoren bewegen sich nun auf das wachsende Ende zu, während sogenannte Dyneinmotoren sich in der Gegenrichtung bewegen. Während die Tiere solche Dyneinmotoren besitzen (bei uns Menschen sind sie für die Links-Rechts-Asymmetrie wichtig), sind diese Motoren beim Übergang zu den Landpflanzen verlorengegangen – der Letzte, der noch solche Dyneinmotoren besitzt, ist der Ginkgobaum, ein lebendes Fossil. Gleichzeitig entstand eine Gruppe von Kinesinen, die gegenläufig wandern, als zum schrumpfenden Ende des Mikrotubulus. Sie fahren also die Einbahnstraße in der falschen Richtung. Das ist merkwürdig und erregte unsere Neugier. Seit einigen Jahren versuchen wir daher zu verstehen, was diese „Geisterfahrerkinesine“ tun und entdecken hier immer wieder neue Überraschungen.
Was haben wir entdeckt?
Wir waren bei Reis auf ein neues Kinesin dieser mysteriösen Gruppe gestoßen und untersuchten zunächst, wo es in der Zelle vorkommt. Eine Reismutante, bei der dieses Kinesin ausgefallen war, stirbt schon im Kindesalter, daher wussten wir schon, dass es sich wohl um ein wichtiges Protein handeln musste. Wir erzeugten Tabakzellen, bei denen dieses Kinesin in Verbindung mit einem fluoreszierenden Protein aus Quallen gebildet wurde und konnten so verfolgen, wie sich dieses Kinesin während der Zellteilung erst an den Polen der Spindel sammelt und von dort aus nach vollzogener Trennung der Tochterkerne in die Zellmitte wandert und dort an der Bildung des Phragmoplasten mitwirkt, eine Art von Mikrotubuli-Kranz, der die neue Zellwand bildet, so dass sich die Tochterzellen voneinander trennen können. In Zellen, die sich nicht mehr teilten war unser Kinesinmotor in langen Fasern an der Zellwand zu finden, wo er offenbar an sogenannte corticale Mikrotubuli gebunden war. Diese nur bei Pflanzen zu findende Struktur steuert die Richtung der Zellulosefasern und damit die mechanischen Eigenschaften der Zellwand. Durch Umrichtung der Mikrotubuli können Pflanzen entscheiden, ob sie lang und dünn werden oder eher kurz und dick. Die große Überraschung kam, als wir feststellten, dass ein Teil des Kinesins im Zellkern zu finden war. Wir fragten nun, ob das eine tiefere Bedeutung hatte – durch einen Kälteschock (Eiswasser) lösten wir daher die corticalen Mikrotubuli auf. Und siehe da: unser Motorprotein wanderte dann in den Zellkern ein und bildete dort ein Netzwerk, das an bestimmte Stellen der Chromosomen anknüpfte.
Was macht ein Mikrotubuli-Motor im Zellkern?
Normalerweise gar nichts – Wenn Tubulin, der Baustein der Mikrotubuli, mit der DNS in Kontakt kommt, entsteht nämlich sofort eine Teilungsspindel. Daher wird das Tubulin in Zellen, die sich nicht teilen, strikt von der DNS ferngehalten. Wir stellten nun fest, dass unser Motor bestimmte Motive auf der DNS erkennt und daran bindet. Wenn wir auf gentechnischem Wege den Pegel dieses Kinesins erhöhen, verändert sich dadurch die Aktivierung eines Genschalters namens Cold Box Factor 4, der in Antwort auf Kälte eine ganze Reihe von Frostschutzproteinen aktiviert.
In anderen Worten: unser Mikrotubuli-Motor ist Teil eines Thermometers – wenn durch einen Kältereiz die Mikrotubuli schrumpfen, wird unser Kinesin freigesetzt, wandert in den Zellkern ein und bindet dort an die Steuersequenz des Cold Box Factor 4, so dass dadurch die Antwort der Gene auf die Kälte balanciert werden kann.
Ein Mikrotubuli-Motor als Thermometer – das war eine ziemliche Überraschung, die wir nun in künftigen Arbeiten besser verstehen wollen.
Veröffentlichung
135. Xu X, Walter W, Liu Q, Machens I, Nick P (2018) A rice class-XIV kinesin enters the nucleus in response to cold. Nature Scientific Reports 8, 3588. – pdf