Schützen nützt

 

 

Worum geht es?

Ursprünglich ging es um die Rettung der fast ausgestorbenen Stamm-Mutter unserer Weinrebe, der Europäischen Wildrebe (Vitis sylvestris). Im Auftrag des Bundesministeriums für Landwirtschaft sammelten wir in den verbliebenen Auenwäldern der Oberrheinebene Zweige dieser letzten Mohikaner, vermehrten sie im Botanischen Garten und brachten sie gemeinsam mit den Naturschutzbehörden an geeigneten Stellen wieder aus. Im Lauf der Jahre wuchs unsere Sammlung und umfasst inzwischen die gesamte in Deutschland noch verbliebene genetische Vielfalt für diese Art mehr.... Schützen nützt: als wir diese Wildreben näher untersuchten, fanden wir, dass viele von ihnen gegen Krankheiten, aber auch gegen die Folgen des Klimawandels sehr resilient sind. Die Suche nach den Ursachen dieser Resilienz erlaubte uns nicht nur ein tieferes Verständnis des Immunsystems der Weinrebe, sondern auch die Entdeckung neuer Genvarianten, die an dieser Resilienz beteiligt sind. In Zusammenarbeit mit Dr. Wei Chen von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften konnten wir das Erbgut dieser Wildreben entziffern und spannende Einblicke in die Evolution und Domestizierungsgeschichte der Weinrebe gewinnen. Auf dieser Grundlage bauten wir ein neuartiges Werkzeug auf, die Genomdatenbank GrapeKIT, wo inzwischen schon mehrere hundert Genome erschlossen sind - von Wildreben, alten Landsorten, kommerzielle bedeutsamen Rebsorten, aber auch den neuartigen Pilzwiderstandsfähigen (PiWi) Rebsorten.  Hier können wir für jedes Gen von Interesse in der Datenbank suchen, welche Spielarten hier die Natur für uns entwickelt hat und dann nach einem Gang in den Garten dieses Gen aus der entsprechenden Pflanze isolieren und weiter untersuchen. Wir können diese resiliente Wildrebe aber auch für die Züchtung neuer Rebsorten einsetzen, die besser gegen den Klimawandel oder neuartige Krankheiten gefeit sind.

Immunsystem der Weinrebe

Die Weinrebe ist sehr anfällig gegen Krankheitserreger, was großen Aufwand für den Pflanzenschutz mit sich bringt. Die meisten dieser Erreger, wie etwa der Falsche Mehltau der Weinrebe (Plasmopara viticola) haben sich gemeinsam mit wilden Weinarten in Nordamerika entwickelt. Daher haben die amerikanischen Reben eine spezielle Form der Immunität (sogenannte Effektor-getriggerte Immunität, ETI) entwickelt, um sich zu schützen. Als diese Krankheiten im 19. Jahrhundert nach Europa eingeschleppt wurden, trafen sie auf einen naiven Wirt ohne diese ETI. Die Folgen waren katastrophal. Seit dieser Zeit ist der Weinbau zum Fungizid-Junkie geworden - etwa 70% des europäischen Fungizidverbrauchs geht aufs Konto des Weinbaus, der damit eigentlich ein Opfer der Globalisierung geworden ist. Aber können wir Globalisierung nicht auch dafür nutzen, die Immunität zu stärken. Seit vielen Jahren nutzen wir daher die natürliche Diversität von Wildreben aus aller Welt, um das Immunsystem der Weinrebe besser zu verstehen. Neben der spezialisierten ETI gibt es noch eine alte Form einer Grund-immunität, die jedoch während der Domestizierung verlorenging. Die Europäische Wildrebe hat diese Immunität jedoch noch und bildet schnell und stark sogenannte Stilbene, Abwehrstoffe, die Pilze unterdrücken können (mehr...). Auch Chinesische Wildreben, die bis vor wenigen Jahrtausenden mit europäischen Reben im Austausch standen, besitzen diese Eigenschaft (mehr...). Besonders spannend ist, dass diese Grundimmunität auch gegen neuartige Pilzkrank-heiten hilft, die sich im Gefolge des Klimawandels ausbreiten (mehr...). Inzwischen wissen wir, dass dies damit zusammenhängt, dass sie auf der Basis von Stilbenen besonders wirksame Pilzgifte herstellen können (mehr...)

Evolution und Domestizierung

Vier Jahre harte Arbeit, fast 4000 Genome - die Frucht dieser Mühen wurde jetzt in Science publiziert. Die Wildrebensammlung am KIT spielte dabei eine wichtige Rolle. Es konnte gezeigt werden, dass die Weinrebe zweimal unabhängig domestiziert wurde. Einmal im Kaukasus, um daraus Wein zu keltern, ein zweites Mal im Nahen Osten, um sie als Tafeltraube zu nutzen. Bei ihrer Wanderung nach Westen gab es zahlreiche Amouren mit den lokalen Wildreben, woraus die große Vielfalt von Weinreben entstand. Dieses Projekt brachte Menschen aus 16 Ländern zusammen, trotz teilweise schwieriger politischer Umstände und erlaubt einen tieferen Einblick in die komplexe Geschichte dieser Kulturpflanze, die nicht nur Zivilisationen stiftete, sondern auch als eines der ersten globalen Handelsgüter Grenzen von Geographie, Sprache und Religion überwand. Der so geschaffene Wissensschatz ist noch nicht einmal angekratzt - während die Weinrebe im Wechselspiel zwischen klimatischen Umbrüchen und menschlicher Wanderung zahlreiche Regionen eroberte, sammelte sie Gene ein, die ihr erlauben mit zahlreichen Widrigkeiten fertig zu werden. Diese Gene können nun dabei helfen, den Weinbau gegen den Klimawandel zu wappnen - genau dies tun wir schon mit unserem Interreg Oberrhein Projekt Kliwiresse. Vortrag im Rahmen der Samstagsuni Freiburg.

Zum Science-Artikel

Interview mit der Washington Post

Zur Pressemeldung des KIT

Youtube zur Bedeutung des Projekts für die Region