Was ist eine Art?
Wenn wir "Arten" authentifizieren wollen, müssen wir erst einmal wissen, was "Arten" eigentlich sind. Das ist gar nicht so einfach.
Artbildung wird seit den Arbeiten von Mayr und Dobzhansky vor allem populationsgenetisch beschrieben, als die Entstehung von Fortpflanzungsbarrieren, wodurch dann genetisch isolierte Teilpopulationen sich in unterschiedlicher Richtung entwickeln. Dieses vor allem an tierischen Arten entwickelte Konzept passt auf pflanzliche Artbildung nur bedingt, weil hier die genetischen Barrieren viel durchlässiger sind - Hybridisierungen und sogar Allopolyploidie sind bei Pflanzen häufig und führen dazu, dass Arten nicht so festgefügt wirken wie bei Tieren. Konzepte, die auf festen und konstanten Einheiten beruhen, können bei Pflanzen nicht wirklich gut funktionieren. Das betrifft sowohl populationsgenetische, molekulare, als auch morphologische Kriterien. Ein bisher nicht begangener Weg wäre, "Arten" nicht als festgefügte Objekte zu betrachten, sondern als Vorgänge, die irgendwann einmal zu verschiedenen "Arten" führen werden. Damit rücken die Mechanismen in den Mittelpunkt, die in selbstverstärkender Weise dazu führen, dass sich eine ursprünglich genetisch verbundene Population in Unterpopulationen zerfällt, die sich immer weiter auseinanderdividieren werden, obwohl die Grenze nicht klar gezogen, sondern durchlässig wird. Solche Mechanismen können sehr subtil sein, selbst einzelne Mutationen können eine Artbildung bewirken, wenn sie in irgendeiner Form die Sexualität (also den Genfluss zwischen Individuen) kanalisieren. "Kanalisierung" bedeutet, dass der angestoßene Prozess auf die auslösende Mutation verstärkend zurückwirkt. Beispielsweise war die Erfindung der Sexualität eine solche Kanalisierung, die dazu führte, dass die Evolution nur noch in einer Richtung weiterlaufen konnte, also nicht mehr reversibel war (Muller's Ratchet - die von dem Genetiker Muller als Bild gebrauchte Rätsche ist ein Zahnrad, das sich aufgrund einer einhakenden Sperre nur noch in einer Richtung drehen kann).
Modellsystem: Besonders evident wird Kanalisierung bei Merkmalen, die Blütenmorphologie betreffen. Schon kleine morphologische Änderungen können dazu führen, dass der Genfluss in massiver Weise verändert wird, etwa, weil andere Bestäuber zum Zuge kommen oder weil der Pollen auf einem anderen Körperteil zum Empfänger kommt. Berühmte Beispiele sind der Hebelmechanismus der Lamiaceen oder die Heterostylie der Primeln. Um solche "kanalisierte" Gene erkennen zu können, braucht man "nicht-kanalisierte" Referenzen. Solche Referenzen wären nicht merkmals-gebundene, also (möglichst) nicht selektierte Gene, z.B. Mikrosatelliten, Introns oder barcoding marker. Als Kandidaten für "kanalisierte" Gene kämen Faktoren in Frage, die etwas mit Blütenmorphologie zu tun haben. Hier gibt es inzwischen umfangreiches Wissen zu Genen der Entwicklung (EvoDevo). Gerade publiziert sind z.B. Gene, die den Auxintransport im Stamen regulieren und damit den Zeitpunkt, zu dem ein Staubblatt auswächst. Eine Mutation in einem solchen Gen würde daher schlagartig zu einer zeitlichen Isolation des Trägers führen oder unter Umständen zu einem neuen Genfluß zu anderen Partnern. Diese Aufspaltung würde sich also daher selbst verstärken.